Die ersten Höfe in Mittelstadt
Über die Gründung unserer Siedlung gibt es keine schriftlichen Nachrichten. Allein Bodenfunde, Flurnamen und Flurbild können uns hierüber einige Aufschlüsse geben. Diese Quellen erscheinen in Mittelstadt als so reichhaltig und sicher, dass mit ihrer Hilfe eine Rekonstruktion früh- und hochmittelalterlicher Zustände möglich ist, deren Ergebnis an Wahrscheinlichkeit grenzt.
Schon die älteren Oberamtsbeschreibungen bezeichneten Mittelstadt als alten Römerort. Spätere Nachforschungen bestätigen dies. So fand Paret 1908 hinter der Staffel vom Haus Zehnthof Y und 2 bei einer Ausgrabung »rund und kantig profilierte römische Werksteine.« An diesem Platz stand mit Sicherheit eine römische Siedlung. Dies geht auch aus einem Brief vom Jahre 1843 hervor, der eine diesbezügliche mündliche Überlieferung eines Augenzeugen römischer Baureste von diesem Orte enthält. 1962 wurde im Lachenhau die Reste eines weiteren römischen Hauses freigelegt. Auskunft über andere Standorte römischer Gebäude auf unserer Gemarkung erhalten wir durch Flurnamen und Kleinfunde. So weist die schon 1648 genannte Flur Bei den Mauern auf solche Gebäudereste hin, ebenso der Flurname Steinige; von hier stammen übrigens auch Kleinfunde, die als römisch erkannt wurden.
Auf vier Plätzen unserer Gemarkung befanden sich also mit Sicherheit schon in römischer Zeit Häuser, die wahrscheinlich zu landwirtschaftlichen Betrieben gehörten. Erfahrungen aus anderen Orten zeigen, dass die Alamannen häufig dort siedelten, wo der Boden schon seit eh und je beackert wurde — neben den Ruinen der römischen Gutshöfe. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass dies auch für die in der Nähe unseres Ortes liegenden ehemaligen Römerhöfe zutrifft. Schon die Güte der von ihren Besitzern bearbeiteten Löß-Böden zwang ja förmlich dazu, ihre Nachfolge anzutreten. Außerdem darf man vermuten, dass nicht alle römischen bzw. keltorömischen Siedler mit den Römern vor den Alamannen geflüchtet sind, sondern dass ein Teil auf seinem Besitz blieb und eben nur die Oberhoheit wechselte, nicht aber die Güter.
Auskunft über die deutsche (alamannische) Besiedlung unserer Gemarkung geben uns die Braiken, Flurnamen, die wir in Mittelstadt dreimal finden. In der Lehensbeschreibung von 176o sind sie für den Kapf, für Strengel, Rote Äcker und für die Hofstatt belegt. Braiken waren »in der Regel dorfnahe, günstig gelegene und ertragreiche Ackergebiete von größerer Ausdehnung, die oft, ursprünglich wohl fast immer, eine Verbindung zu den Orts-, Grund- oder sonstigen Herren hatten; ihr Verhältnis zur Gemeinde war durch bestimmte, wohl oft bis in die Zeit der ersten Anlage eines Dorfes zurückgehenden Rechte und Lasten scharf umrissen; . .« (Keinath).
In diesen genannten drei Braiken dürfen wir mit Recht die ersten Höfe auf unserer Gemarkung suchen. Sie bildeten den Ausgang der Ursiedlung Muthilstat. Auf einem dieser Höfe dürfte der Alamanne Muthilo gesessen haben, nach dem unser Ort benannt wurde. Vieles spricht dafür, dass es der Hof in der Kapf-Braike war, der sicherlich damals schon dort stand, wo sich heute das Zehnthofareal befindet.
Zu diesem Gut gehörte nach der Lehensbeschreibung von 176o der gesamte Kapf mit ungefähr 13 ha Größe. Dazu kamen noch Wiesen, und sicherlich hat zu diesem Hof auch von Anfang an die Mühle am Neckar gehört. Die Kapf-Braike ist in der Lehensbeschreibung von 176o noch sehr gut als ehemals ungeteiltes Gut zu erkennen; sämtliche Gewanne dieser Flur zinsten damals nämlich dem ersten und zweiten Pfullinger Hof, zu dem sie ursprünglich als besitzeinheitlicher Block gehörten.
Im heutigen Strengel ist es der geradezu auffallende Hohlweg, den wir mit der früheren Bezeichnung Braike in Beziehung zu einem der ersten Höfe der Gemarkung setzen dürfen. Dieser, an der unteren Bempflinger Straße beginnende Hohlweg, ist sicherlich die lange Zeit benützte Auffahrt zu einem dort gelegenen Hof gewesen, der irgendwann wieder abging. Eine andere Deutung des Hohlweges ist nicht möglich, da er als Feldweg keine Funktion hatte; nach 200 m hört er nämlich plötzlich mitten in den Wiesen auf. Die geplante Überbauung des Strengels wird uns in den nächsten Jahren vielleicht durch Bodenfunde einigen Aufschluss geben und sehr wahrscheinlich die hier geäußerte Vermutung bestätigen. Der größte Hof der Ursiedlung Muthilstat befand sich in der Hofstatt-Braike. Das Gebäude selbst dürfte in der Gegend des Gasthofes »zum Lamm« gestanden haben. 1648 war die Hofstatt schon Ackerland, auf dem sich kein Haus mehr befand. Es muss irgendwann zu einem früheren Zeitpunkt abgegangen sein.
Als Ergänzung zu den Flurnamen tritt bei der Suche nach den ersten Mittelstädter Höfen das Flurkartenbild. Wenn wir nämlich die Flurkarten näher betrachten, so stellen wir fest, dass Gewanne mit gleichen Pflugrichtungen sich über die heutigen Wege und Straßen hinweg in benachbart liegende Fluren fortsetzen und so noch sehr deutlich das Bild eines ehemals besitzeinheitlichen Flurblocks bieten. So haben Klingäcker, Hofstatt, Bergsteig, Pekbirnbaum, Bei den Mauern, Bei den Kreuzsteinen und Tal Gewanne mit gleicher Pflugriditung (siehe beiliegende Flurkarte). Teilweise hatten diese Gewanne eine Länge von 500-700 m. Die genannten Fluren umfassten somit eine ursprüngliche Besitzeinheit von fast 5o ha, groß genug für zwei Höfe der damaligen Zeit.
Auch das Flurkartenbild von Strengel, Rote Äcker, Ob dem Bempflinger Weg, Schölderlen und Ob dem Fröhlefelderweg weist auf ehemals zusammenhängenden Besitz hin, da diese Fluren alle gleiche Pflugrichtung haben und heute noch den Eindruck eines Langgewannkomplexes machen. Die Äcker hatten hier teilweise eine Länge von mehr als 800 m, weisen dadurch schon auf einen Hof der Landnahmezeit hin. Die Größe dieses Gutes darf mit ungefähr 3o ha angenommen werden, das dazugehörige Gebäude muss am Ende des schon beschriebenen Hohlweges gestanden haben. Der heute fast völlig überbaute Kapf zeigt in der Flurkarte von 1823 deutlich die frühere Blockflur. Der Besitz dieses Gutes erscheint mit 13 ha als etwas klein im Vergleich zu den beiden anderen Höfen. Wahrscheinlich hat noch mehr Land dazugehört, doch kann dies nicht bewiesen werden.
Ebenfalls aus der Zeit der alamannischen Besiedlung unseres Landes (26o-600 n. Chr.) stammt die Siedlung, zu der die Fluren Auf dem Hof, Brühl und Lange Äcker gehören. Doch sind sie Teil einer fremden Gemarkung; die Grenze der Mittelstädter Markung befand sich ursprünglich beim Ziehen Boom. Diese erwähnte fremde Gemarkung umfaßte große Teile des heutigen Mittelstädter, Riedericher, Bempflinger und Neckartenzlinger Besitzes. Nach Abgang der Siedlung teilten sich diese Ortschaften dann auch diese Fläche unter sich auf. Mittelstadt scheint dabei den größten Anteil erhalten zu haben. Die Wohnstätten dieser Siedlung standen im Bereich des heutigen Brühl. Eine Anzahl von Flurnamen deuten heute noch auf die spätere Wüstung hin, so die Riedericher Fluren Lange Äcker (Langstreifenkomplex von 800 m Länge!) und Holderäcker, die Bempflinger Fluren Wüste und Lange Äcker, die sich in der Neckartenzlinger Gemarkung fortsetzen. Auf Mittelstädter Seite finden wir den schon erwähnten Brühl, ferner Lange Äcker und Auf dem Hof als einzigen Bestandteil dieser Wüstung, deren Namen uns völlig unbekannt ist. Aber vielleicht deuten die früheren Mittelstädter Flurbezeichnungen Bebenhard und Hägelen auf die Besitzer hin. Denn in dem Bestimmungswort Beben steckt der althochdeutsche Personenname Pebo, während Hägelen auf den ebenfalls althochdeutschen Personennamen Hagilo hinweist. Wann die genannte Siedlung abgegangen ist, weiß man nicht. Mit der Ursiedlung Muthilstat hat sie jedenfalls nichts zu tun. An deren Anfang standen drei Höfe, jeweils in unmittelbarer Nähe der erwähnten Braiken im Kapf, im Strengel und auf der Hofstatt. Um 1250 sah das Bild der Besiedlung in Mittelstadt schon ganz anders aus. Das wissen wir aus schriftlichen Urkunden, die uns aus dieser Zeit überliefert sind. 1245 und 1254 taucht in zwei Urkunden ein B. de Mutilstat (von Mutilstat) als adeliger Dienstmann des Grafen Ulrich von Berge auf. Da dieses Geschlecht ausgedehnten Besitz in Mittelstadt hat, erscheint es als ziemlich sicher, dass dieser B. de Mutilstat aus einem Mittelstädter Adelsgeschlecht entstammt, das in unserm Ort auch seinen Besitz hatte. 158o erwähnt der Chronist Gabelkover auch einen Burgstall für Mittelstadt. Diese Mitteilung ist nur im Zusammenhang mit dem Adelsgeschlecht B. de Muthilstat verständlich. Wo aber befand sich diese Burg? Für alteingesessene Mittelstädter ist diese Frage nicht schwer zu beantworten: Auf Burg natürlich. Dieser Name ist heute noch für das Haus Hauptstraße 46 (Henzier) gebräuchlich, obwohl dort jetzt ein einfaches Bauernhaus steht und kein Stein mehr an eine frühere Burg erinnert. Allein die Lage macht diesen Namen heute noch glaubhaft. Über den zu diesem Burgstall gehörigen Besitz wissen wir noch nichts. Es wäre aber gut denkbar, dass Blauhut, Rebstock und Halde dazugehört hätten. Hier finden wir nämlich das beste Ackerland unserer Gemarkung. Die Grafen von Berge, deren Lehensmann B. de Muthilstat war, hatten jedenfalls großen Besitz in Mittelstadt. Ebenfalls begütert waren bei uns die Herrschaft Hohenberg, die Grafen von Schelklingen und die Herren von Riet (Altenriet). Als Güter sind namentlich benannt: des Behaims Gut, das Steinhaus zu Mittelstadt samt 2 Höfen als Leben der Herrschaft Hohenberg, ein Gut des Heinrich von Riet »das gehört zum Berge« also Bergischer Besitz war, ferner der »Nunnerinnen Gut«, das Stramengut und des Sattlers Gut, dazu kamen noch der Widumhof und einige nicht genau benannte Höfe. Insgesamt werden es also etwas mehr als ein Dutzend größere Höfe gewesen sein, die damals die Siedlung Mittelstadt bildeten. Die Zahl der Einwohner dürfen wir für 1250 mit ungefähr 8o—100 annehmen (1470: 18o Einwohner). Für mehr Bauernhöfe der damaligen Größe bot die Mittelstädter Gemarkung kaum Platz.
Erst die Rodungen des 14. Jahrhunderts in der Reute, in den Heiden, in Lachenäckern, Hohbuch und Stockäcker schafften Raum für neue Höfe, die insbesondere der Reutlinger Armenpflege gehörten. Aber diese Vorgänge fallen in das späte Mittelalter. Zusammenfassend dürfen wir nun also folgendes sagen: Bodenfunde lassen erkennen, dass in Mittelstadt schon in römischer Zeit mindestens 4 Gutshöfe standen. Anhand der Flurnamen, der Geländesituation und des Flurkartenbildes erfahren wir aus der Zeit der alamannischen Besiedlung (26o-600) von 3 Höfen, die in der Kapf-Braike, der Strengel-Braike und der Hofstatt-Braike lagen. Weitere Gehöfte nahe der Flur Auf dem Hof gehörten nicht zu der Mittelstädter Gemarkung, sondern zu einer uns noch unbekannten Markung. Die dazugehörigen Fluren wurden der Mittelstädter Gemarkung erst später zugeschlagen. Die Höfe in der Strengel-Braike und der Hofstatt-Braike wurden offensichtlich später auch aufgegeben. Der Hof, der den Vorläufer des heutigen Zehnthofareals darstellte, bildete den Kern, aus dem sich der spätere Ort Mittelstadt entwickelte.
Um 1250 finden wir zahlreiche Güter adeliger Herren in Mittelstadt, unter anderem auch der Grafen von Berge, die allem Anschein nach auch die Ortsherrschaft inne-hatten. Wie diese zu ihrem Besitz kamen, wussten sie selbst nicht zu sagen. Ein ade-liger Lehensmann der Grafen von Berge war ein B. von Mutilstat, der zweifellos einem hier ansässig gewesenen Adelsgeschlecht entstammte. Den Sitz dieses Mittelstädter Ortsadels dürfen wir dort suchen, wo heute das Haus Auf Burg steht.