Unsere Volksschule
Vor der Reformation gab es in Württemberg nur in den Städten Schulen und zwar waren dies lateinische Schulen. Der Großteil der Bevölkerung konnte deshalb weder lesen noch schreiben. In Glems beispielsweise gab es 1561 niemanden, der die ober-amtlichen Anweisungen lesen konnte. Die Glemser mussten sich diese in Neuhausen, Dettingen oder sonstwo vorlesen lassen. Als sie einen Pfarrer wollten, um besonders diesem Übelstand abzuhelfen, ließ der Oberamtmann ihnen sagen, dass ihnen der Weg zum Wein und ins Bad nach Neuhausen auch nicht zu weit sei, also könnten sie auch dorthin zur Kirche gehen. Der Oberamtmann merkte aber gut, wo den Glemsern der Schuh drückte und bot ihnen die Errichtung einer Schule an. Da sie aber keinen Unterrichtsraum auftreiben konnten, unterblieb diese segensreiche Einrichtung vorerst.
In Mittelstadt wird es ums Lesen und Schreiben ähnlich bestellt gewesen sein wie in Glems. Diesem allgemeinen Missstand versuchte Herzog Christoph abzuhelfen, indem er 1559 in der württembergischen Kirchenordnung befahl, auch in den Landorten Schulen zu errichten, die aber »teutsche Schulen« sein sollten, d. h. in der die Unterrichtssprache deutsch war, gemeint waren also Volksschulen.
1579 bekam schließlich auch Mittelstadt seine erste Schule. Wir wissen leider nicht, wo sie stand und wer der erste Schulmeister unseres Ortes war. Die früheste urkundliche Nachricht von einem Schulhaus in Mittelstadt erhalten wir aus einem Güter-verkaufsbuch, das 1662 angefangen wurde. Nach den ersten, fast verblichenen Seiten finden wir dort ein Protokoll mit folgendem Wortlaut:
»Schultheiß, Bürgermeister und Gericht zu Mittelstadt haben von Hans Friedrich Hering, Bürger allhier, eine Behausung bei dem Kirchhof zwischen Hans Walter Brimlins Hofstatt und der Allgemeinen tauschweise angenommen, welche auf 150 Gulden geschätzt wurde.
Diese Behausung haben sie dem heiligen St. Martin und dessen Pflegern Jakob Stücklin und Jakob Müller dergestalt käuflich zu einem Schulhaus übergeben, dass sie dem gemeinen Flecken allhier sollen dafür bezahlen: hundert Gulden; in Bargeld 25 Gulden; jährlich auf Martini 15 Gulden bis zur völligen Bezahlung.
Weil es eine Zeitlang strittig gewesen, ob der gemeine Flecken allhier oder der heilige St. Martin für das abgegange Schulhaus aufkommen müsse, haben obenstehende, Schultheiß, Bürgermeister und Richter dem Heiligen allhier an den 15o Gulden frei-willig 5o Gulden nachgelassen und ihnen das Haus um wo Gulden eigentümlich eingehändigt. Das wurde mit Einwilligung des Untervogts zu Urach verhandelt. Aktinn den 9. August Anno 1662.« (Der Heilige St. Martin war die Kirchengemeinde, Martini der 11. it.)
In den späteren Güterbüchern wird die Lage dieses neuerworbenen Schulhauses näher beschrieben, so dass kein Zweifel bestehen kann, dass es sich hier um das sogenannte alte Schulhaus, Kirchstraße 27, handelt. Der Verkäufer, Hans Friedrich Hering, könnte jener Mittelstädter Steinmetz gewesen sein, der die Renaissancesäule beim Sakristeieingang der Kirche und den steinernen Kopf eines jungen Mannes am Gasthaus Krone geschaffen hat.
Näheres über die damaligen Schulverhältnisse ist uns nicht bekannt. Wir wissen nur, dass an vielen Orten nur im Winter Schule gehalten wurde. Aus einer Heiligen-rechnung von 1763 erfahren wir allerdings für Mittelstadt, dass hier auch Sommers der Unterricht stattfand, denn der Schulmeister bezog hiefür 2 Gulden, 20 Kreuzer. Über die Schulvisitationen erfahren wir folgendes aus der Cominunen-Ordnung von 1758:
»Die teutschen Schulen jeden Orts sollen jährlich zweimal von denen geist- und weltlichen Coinmunvorstehern visitiret werden. Dabei passieret jedesmal: Einem Pfarrer und reisigen Amtmann jedem 3o Kreuzer; einem Schultheißen 20 Kreuzer; allen Bürgermeistern, den Heiligen- und Armenkastenpflegern, dem Meßner und Schulmeister, jedem 15 Kreuzer, dem Dorfschützen w Kreuzer.«
Eine Heiligenrechnung von 1763 zeigt aber, dass in Mittelstadt bei Visitationen mehr Geld aufgewendet werden mußte, als hier veranschlagt ist. So erhielt der Revisor von Urach 2 Mahlzeiten im Werte von i Gulden 3o Kreuzer, ferner 2 Gulden Honorar, sein Postillion 4o Kreuzer, dessen Pferd für Hafer 40 Kreuzer, der Pfarrer und der Amtmann bekamen je 3o Kreuzer, der Bürgermeister, der Heiligenpfleger und der Schulmeister je 15 Kreuzer, während der Büttiel mit to Kreuzern-zufrieden sein musste. Hiermit haben wir auch die Liste derjenigen Leute, die bei der Visitation anwesend waren. Die Unterschiede in den Vergütungen zeigen uns auch die Rangfolge der Visitierer an.
Diese Prüfung hatte sich nur mit wenigen Fächern zu befassen, da der Unterricht nur in Schreiben, Lesen, Singen; Beten, dem Hersagen von biblischen Sprüchen und Psalmen, sowie in der Erklärung des Katechismus bestand. 1729 wurde- auch das Rechnen in den Schulen eingeführt, doch musste dies 1778 noch einmal angemahnt werden. Das lag daran, daß viele Schulmeister einfach nicht rechnen konnten. Denn oftmals hielten auch Hirten, Schuhmacher, Bäcker oder Weber den Unterricht ab. Die Gemeinde bevorzugte für das Schulmeisteramt nämlich gerne Ortsansässige,
wenngleich diese auch allzu oft von der Kirchenbehörde wegen mangelhafter Kennt-nisse abgelehnt werden mussten. Was ein Schulmeister konnte, zeigte sich ja bald bei der nächsten Visitation. Die Bezahlung der Schulmeister war anfangs sehr gering. Sie wurde vom »Heiligen« und von der Gemeindeverwaltung vorgenommen. So erfahren wir aus der Heiligenrechnung von 1763, dass er vom »Heiligen« ein Gehalt von insgesamt 19 Gulden, 45 Kreuzern erhielt. Darin war enthalten die Entlohnung für den Unterricht in der »Naduschul mit denen erwachsenen Bürgerssöhnen« sowie für die »Sonntagsdiul mit denen erwachsenen ledigen Leuten«. Zu diesem Gehalt kamen noch 3 Scheffel Dinkel und 1 Scheffel Hafer als Naturalleistung im Werte von 16 Gulden.
Von der Gemeindeverwaltung erhielt dieser Schulmeister laut Bürgermeisterrechnung 4 Gulden fürs Schulhalten und 6 Gulden für Mesnerdienste in der Kirche. Außerdem bekam er als Naturalleistung z Scheffel, 4 Simri Dinkel und ebensoviel Hafer, sowie 1 Klafter Holz (rund 3 m3). Umgerechnet auf der Grundlage des Getreidepreises bezog der damalige Schulmeister Bausch rund wo° Mark nach heutigem Geld. Dazu kamen noch seine Einnahmen aus dem Schulgeld, das die Kinder zu entrichten hatten. Für die Kinder der Armen zahlte die Kirche. Der Schulmeister erhielt dafür 1763 z. B. i Gulden. Nebenbei hatte er je nach seiner Geschicklichkeit kleinere Arbeiten zu verrichten, die ihm sehr erwünschte Nebeneinnahmen brachten. 1763 lesen wir in der schon erwähnten Heiligenrechnung:
»Der Schulmeister Bausch hat die allhiesige Kirchenuhr wieder gesäubert, ausgebrannt und wieder aufgesetzt und für die Bemühung einen Gulden zu Lohn erhalten.« Daneben betrieb Bausch auch noch eine Landwirtschaft von rund 25 Morgen Größe. Ein 2-stöckiges Haus mit Scheuer und Hofraum bei der Kirchhofsmauer (Kirchstr.-22 — Polizei-Müllerschön) sowie einige Viehställe waren ferner sein Eigentum. Im großen und ganzen war er ein sicherlich wohlhabender und angesehener Mann. Von Staats wegen war er zudem als Schulmeister vom Fronen befreit, auch musste er keine Militäreinquartierungen nehmen.
Natürlich ging es sicher nicht allen Schulmeistern in Mittelstadt so gut wie diesem Georg Adam Bausch.
Sein Sohn scheint übrigens auch wieder Lehrer geworden zu sein, denn 1820 streitet ein Schulprovisor Bausch vor dem Ruggericht mit der Gemeinde. 1810 war nämlich sein Gehalt von 120 auf 130 Gulden festgesetzt worden, wovon ihm aber die Gemeinde nur 93 Gulden ausbezahlen wollte, weil sie erklärte, sie sei »bei schwachen Kräften«. Bausch kam dann aber doch noch zu seinem Gehalt. 1865, nach der großen Besoldungsreform, musste die Gemeinde noch einmal tief in die Tasche greifen und dem 1. Schulmeister Langbein 396 Gulden und 10 Scheffel Dinkel (rund 3o Zentner) zahlen. Der Unterlehrer Walter bekam 260 Gulden und ebenfalls 10 Scheffel Dinkel. 1865 war das alte Schulhaus längst zu klein geworden, so dass ein neues geplant und schließlich auch im Lodenberg gebaut wurde. Viele alte Mittelstädter haben hier lesen, schreiben und rechnen gelernt. 1925 fiel es einer Brandstiftung zum Opfer. Es wurde jedoch nicht wieder aufgebaut, der damalige Bürgermeister Wenzelburger errichtete an seiner Stelle eine Bürgermeister-Dienstwohnung. Zum Glück hatte Mittelstadt schon 1907 ein neues Schulhaus auf den Kapfäckern, heute Schulstraße, errichtet, so dass der Unterricht nach dem Brande nicht ganz und gar ausfiel. Dieses Schulhaus er-hielt zunächst 2 Schulsäle. 1926 wurde es zum ersten mal mit einem Kostenaufwand von wo 000 Mark auf 5 Räume erweitert. Die Schülerzahl betrug damals in Klasse I 73, in Klasse II 39, in Klasse III 38 und in Klasse IV z6, mithin waren es also 176 Kinder.
1961 schließlich wurde dieses Schulhaus zum zweiten Mal vergrößert, diesmal mit einem Kostenaufwand von 600 000 DM. Die alten Unterrichtsräume wurden um-gebaut und renoviert, während an den Altbau ein weiteres Schulhaus mit 4 Klassenräumen, 1 Schulküche, 1 Handarbeitsraum, i Werkraum, Waschküche, Bücherei, Gruppenarbeitsraum, Rektorat und Lehrerzimmer angebaut wurde. Entwurf und Bauleitung lag in den Händen von Architekt Riehle, Reutlingen.
Man hatte für die damaligen Verhältnisse gut und günstig gebaut. Bezirksschulamt und Gemeindeverwaltung glaubten darum guten Gewissens sagen zu können, die Schulraumfrage bereite Mittelstadt für lange Zeit keine Sorgen mehr. Wenn die Unterrichtsräume nun über kurz oder lang nicht mehr ausreichen, so liegt es daran, dass die Entwicklung der Volksschule in Baden-Württemberg eine unvorhergesehene Richtung einschlug. So wurde 1963 in der Mittelstädter Schule eine sogenannte Auf-baustufe eingerichtet, d.h. dass jeweils die Kinder vom 5. Schuljahre an nach ihren Leistungen in den Fächern Deutsch und Rechnen in z Gruppen geführt werden. Die Gruppe A umfasst Kinder mit guten und durchschnittlichen Leistungen, sie erhalten einen erweiterten Unterricht in Deutsch und Rechnen, zusätzlich lernen sie Englisch. Mit dem Abschlusszeugnis dieser Aufbaustufe sind die Kinder der Gruppe A befähigt, auch in Berufe aufzusteigen, die früher nur Mittelschülern und Gymnasiasten vor-behalten waren. Auch soll künftig der Übergang von der Volksschule auf eine Mittel-schule oder eine andere Schule möglich sein. Die Volksschule ist damit zu einer weiterführenden Schule geworden.
Aber auch für die leistungsschwächeren Kinder der Gruppe B bedeutet diese sogenannte Differenzierung nach Leistungsgruppen ein Gewinn. In Ruhe und ohne störende Beeinflussung durch die guten Schüler kann sich in der zahlenmäßig kleinen Gruppe B jenes Wissen und Können entfalten, das diese Kinder für einen späteren praktischen Beruf benötigen. So ist der Kursunterricht der Gruppe B mehr auf eine handwerkliche Praxis ausgerichtet; Werken wird hier z. B. in wesentlich stärkerem Maße betrieben als in Gruppe A. Diese Gliederung unserer Volksschuloberstufe in einen solchen theoretischen und einen praktischen Zweig ist zweifellos ein großer Gewinn für unsere Kinder. Die Eltern sollten diesen Fortschritt dankbar begrüßen. Auf der anderen Seite werden durch diese Differenzierung nach Leistungsgruppen natürlich mehr Unterrichtsräume benötigt. 1968 braucht man allein für die Oberstufe mindestens 4 Räume mehr, zu diesem Zeitpunkt wird das 9. Schuljahr auch in Mittelstadt längst zur Gewohnheit geworden sein.
Die in den letzten Jahren stark wachsenden Geburtenziffern in unserer Gemeinde werden außerdem noch künftig zu einer Teilung der Grundschuljahrgänge in jeweils 2 Parallelklassen führen.
Die Gemeindeverwaltung wird also einmal durch die neue Entwicklung im Volksschulwesen und zum anderen durch die starke Zunahme der Geburten vor die Notwendigkeit gestellt, sich erneut mit den Problemen der Schulraumbeschaffung zu befassen, eine Aufgabe, die beim besten Willen im Jahre 196o noch nicht vorherzusehen war.
Die Lehrer der Volksschule Mittelstadt im Schuljahr 1965/66. Hintere Reihe: Konrektor Müller, Oberlehrer Gaiser, Hauptlehrer z. A. Gerth, Hauptlehrerin Frl. Schrägle. Vordere Reihe: Haupt-lehrerin für HHT. Frl. Fehde, Rektor Lukas, Hauptlehrerin z. A. Frl. Kuch, Hauptlehrerin z. A. Frl. Graf, Hauptlehrerin Frau Hüfler. (Foto He Metzingen)