Lehensherren und Lehensbesitz
Noch in der Mitte des 13. Jahrhunderts war Mittelstadt zu einem großen Teil im Be-sitz zahlreicher weltlicher Herren. So wird uns von Gütern berichtet, die den Grafen von Berg, dem Markgraf von Burgau, den Hohenbergern, den Herren von Riet oder anderen gehörte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts finden wir die meisten der in den Urkunden genannten Höfe in den Händen des neugegründeten Klosters Pfullingen. Die Klosterfrauen hatten sie durch Käufe oder Schenkungen an sich gebracht.
Außer dem Kloster Pfullingen gab es jedoch noch eine Reihe anderer ortsfremder Grundbesitzer, die in Mittelstadt Höfe hatten. Es waren dies vor allem die Armenpflege Reutlingen, die geistliche Verwaltung Nürtingen und die Stiftsverwaltung der Universität Tübingen. Ihr Besitz wird gegen Schluss dieses Kapitels noch näher beschrieben.
Diese Grundherren bebauten ihre Güter nicht selber, sondern verliehen sie gegen jährlichen Geld- oder Naturalzins, sogenannte Gülten oder Gefälle, an ortsansässige Bauern. Unter welchen Bedingungen eine solche Beleihung geschah, zeigt uns der folgende Erblehensbrief, der am Aftermontag (= Dienstag) nach St. Urbanustag (= 26. Mai) im Jahre 1500 auf den Maier des Reutlinger Armenpflegehofes zu Mittelstadt ausgestellt wurde.
»Conrat Suwter und Jerg Kaiser, Bürger und Pfleger der armen Sondersiechen zu Reutlingen, bekennen, daß sie dem bescheidenen Hans Sperrling, genannt Toscher, zu Mittelstadt und seinen Erben zu einem steten Erblehen geliehen haben Hof und Gut der Armen zu Mittelstatt. Darein gehören Haus, Scheuer, Hof raiti, 42 Juchart und Y Viertel Ackers in den 3 Zeigen, i Mannsmand 1V2 Viertel Gartens, 91/2 Mannsmand und 7 Viertel Wiesen, wie solche Güter mit ihren Gelegern (= Lagen) und Anstößern von zu Stück im Register der Armen genau aufgeschrieben sind. Sie haben den Hof verliehen um das Drittel aller Früchte, welches der Maier jährlich zur Landgarbe zu geben, ohne Kosten der Armen abzuschneiden, vor seinem eigenen Teil in die Scheuer zu führen und in einen eigenen Barn (= Fruchtstock, Teil der Scheuer) sonderlich (besonders) zu legen hat. Desgleichen hat er von anderen Früchten, die er in die Äcker dieses Gutes säen wird, den Armen ihr Drittel davon zu geben und darin keinerlei Arglist zu brauchen. jedes Jahr, wenn er schneiden will, soll er das den Armenpflegern 3 oder 4 Tage vorher zu wissen tun und alle Tage, solang er schneidet, 6 Schnitter oder darüber, nicht darunter haben. Die Armenpfleger sollen dem Maier einen Landgarber schicken, der der Landgarbe der Armen wartet und sie empfängt. Diesen sollen die Pfleger lohnen. Der Maier des Hofs soll ihm zu essen geben. Wenn der Maier in der Sommerernte aufbinden will, so soll er mindestens selbdritt ohne Landgarber sein. Wenn der Maier an einem Tag unter 6 Schnitter hätte oder beim Aufbinden weniger als 3 Personen, so soll er an diesem Tag den Landgarber ganz lohnen und die Armenpfleger daran nichts zu geben schuldig sein.
Der Landgarber, der jährlich auf diesen Hof geschickt wird, kann jedes Mal am andern Tag in der Ernte auf dem andern Höflein der Armen, das jetzt Conlin Schmidlin innehat, die Landgarbe der Armen empfangen, unverhindert vom Maier dieses Hofs. Der Maier soll jährlich den Armen ihr Drittel der Kornfrüchte, wenn es in der Armen Kasten ausgedroschen wird, gen Reutlingen in ihren Kasten liefern ohne Kosten für sie. Doch sollen die Armenpfleger den oder die, so die Früchte abliefern, auch ihre Rosse mit Essen und Futter halten wie andere Maier der Armen. Der Maier soll den Dreschern der Armen, solange bis sie das Drittel ausgedroschen haben, Herberge und Holz, um ihre Speis damit zu kochen, geben. Der Maier und seine Nachkommen sollen jährlich den Armen auf St. Martins Tag geben 3 Pfund Heller zu Wieszins, 2 Fastnachtshennen, 16 Herbsthühner, 11/2 Viertel Eier und 15 Käs auf Ostern, wovon 10 Käs je 6 Heller und 5 je 4 Heller ungefähr wert sind. Diese Gülten sollen sie auf jeden Termin gen Reutlingen abliefern. Der Maier hat versprochen, dass er den Hof 'mit aller seiner Zugehörde in guten Ehren, ziemlich ein Bau und Wesen zu Dorf und Feld halten, die Äcker und Wiesen reuten, säubern, vermachen ( = einzäunen), sie an keiner Stelle wüst und ungebaut liegen lassen, sondern sie mit Düngen und allem üblichen Bauen zu rechter Zeit bewahren und versehen soll. jeder Maier soll Heu, Stroh, Mist und Kurzfutter, so auf diesem Hof wächst und gemacht wird, zum Nutzen der Güter dieses Hofes brauchen und davon nichts verkaufen noch anderswo verwenden. Wenn der Maier oder seine Nachkommen eigene Güter hätten, so sollen sie das Gestreu, das von solchen eigenen Gütern anfällt, auch für diesen Hof und seine Güter brauchen. Doch kann jeder Maier dieses Hofs zu jeder Brach auf jede Juchart, die sein eigen ist, ungefähr 70 Karren Mist und nicht mehr führen. Wenn ein Maier diese Verpflichtung nicht einhält, dann soll er die Lehenschaft dieses Hofes verwirkt haben oder den Armen darum Abtrag (= Entschädigung) tun nach Erkenntnis von Schultheiß und Gericht zu Mittelstatt, und was in dem Fall erkannt wird, dem soll stracks Folge geschehen ohne alle Widerrede.
Es ist ausdrücklich bestimmt worden, dass dieser Hof nicht von Erbschaft wegen oder aus sonst einem Grunde zerteilt werden, sondern allweg in einer Hand bleiben und von einem Maier bebaut werden soll. Kein Maier dieses Hofs darf die Lehenschaft desselben oder ein darein gehöriges Stück versetzen, verkaufen, mit Gülten oder Zinsen beschweren oder eine Änderung mit den Gütern tun ohne Erlaubnis der Armenpfleger. Doch kann jeder Maier dieses Hofs die Lebenschaff Samenkaufs (=-- als ganze) verkaufen an einen andern Maier, der den Armenpflegern gefällig und für einen Baumann aufzunehmen ist. Wenn der Hof so verkauft wird, so können Armenpfleger ihm dem Käufer leihen oder die Lehenschaft um das Geld, wofür sie verkauft ist, zu ihren Händen lösen nach ihrem Belieben. So oft dieser Hof von einer Hand in die andere kommt, sei es wegen Verkaufs oder wegen Sterbens eines Maiers, soll allweg (= jedesmal) der, der lebendig oder tot von dem Hofe kommt, den Armenpflegern 3o Schilling zu Weglös und der, der darauf kommt, 3o Schilling zu Handlohn geben und dazu den Hof von den Armenpflegern empfangen und diesem Brief zu leben Sicherheit und Tröstung tun mit Verschreibung oder Bürgschaft. Solches soll jedesmal ungefähr in Monatsfrist vollzogen werden. Würde es über einen Monat verzögert, so soll der Maier alsdann sein Teil Früchte, so ihm in der nächstkommenden Ernte werden, nicht dreschen oder verändern, die Armen-pfleger seien denn zuvor um Weglöse und Handlohn bezahlt und ihnen Sicherheit geschehen. Wenn aber ein Maier solches darüber (= trotzdem) täte und sein Teil Früchte veränderte, soll er darum strafbar sein und Abtrag tun (= Entschädigung leisten) nach Erkenntnis von Schultheiß und Gericht zu Mittelstatt.« (Insigel der Armenpfleger)
Wenn der Besitzer des Hofes den Hof weiterverkaufte, mußte er der Armenpflege 3o Schilling (rund 18 Mark) zahlen, das waren sogenannte Weglöse und Ablösung. Sein Nachfolger mußte ebensoviel Antrittsgeld hinlegen, den sogenannten Handlohn. Dieser Hof war ein Erblehen, d. h. der Vater konnte ihn jeweils dem Sohn weitergeben. Im Erblehensbrief ist ausdrücklich vermerkt, daß der Besitz nicht im Erbgang geteilt werden durfte. Daran hat man sich aber nirgends gehalten, auch in diesem Falle nicht. So bestand das gesamte Gut der Armenpflege 176o schließlich aus 166 Parzellen, die an 65 Mittelstädter Bauern verteilt waren. Es wundert dann nicht, wenn die Reutlinger Armenpflege die größten Schwierigkeiten beim Einzug ihrer Gefälle hatte. Der Vogt von Urach, als Vorsteher des Oberamt, musste energisch einschreiten, uni eine weitere Zerstückelung der Güter zu verhindern. In einem diesbezüglichen Schreiben vom 11. Juli 1747 an den Mittelstädter Schultheißen heißt es unter anderem: » ... wie sehr die Hofgüter verstückelt und verteilt sind, so dass an jedem solcher Hofgüter fast die meisten Bürger etwas besitzen, welches daher verursacht, dass die gedachte Armenpfleg nicht nur ihrer jährlich zu erfordern habenden Geldgefälle allerdingen nicht richtig einbringen könne, sondern auch Schaden in dem Einzug der Drittelfrüchte erleiden musste . .« Der Vogt verbietet dann nicht nur die weitere Teilung der verstreuten Güter, sondern fordert dazu noch eine Zusammenlegung der einzelnen Stücke, wo immer es möglich sei. Zuwiderhandlungen würden mit empfindlichen Strafen geahndet werden.
100 Jahre vor der Ausstellung des obenstehenden Lehensbriefes gab es nur erst vereinzelte Erblehen, also solche Höfe, bei denen beim Wechsel der Lehensträger lediglich Weglöse und Handlohn zu entrichten waren. Die meisten Höfe standen damals noch zu einem Drittel, d. h. sie waren Fallehen; beim Todesfall des betreffenden Bauern konnte ein Drittel aller beweglichen Güter vom Grundherren eingezogen werden. Diese große Belastung lähmte natürlich die Arbeitsamkeit der Bauern, und so entschlossen sich die Grundherren schließlich, beim Übergang eines Hofes an einen anderen Lehensträger nur bestimmte kleinere Beträge zu fordern, nämlich Weglöse und Handlohn ... Dadurch gelang es, die Bauern fester an die Scholle zu binden. Kloster Pf ullingen war aber anscheinend mit dem neuen Brauch des Erblehens gar nicht einverstanden, denn es stritt noch 1471 deswegen vor dem Gericht in Urach mit einigen Mittelstädter Bauern, die meinten, »dass Weglöse und Handlohn ein genugsam Anzeichen und Urkunde eines Erbgutes gebe, und welches Gut Handlohn und Weglöse gebe, das wäre nach dieses Landes Brauchung und Gewohnheit ein Erbgut« Die Klosterfrauen mussten sich schließlich auch der neuen Gepflogenheit beugen.
In der Lehensbeschreibung von 1760 finden wir folgende Lehenshöfe in Mittelstadt:
Pfullinger Hof 69 Morgen groß, dazu gehörten das heutige Gasthaus Krone mit der dahinterliegenden Scheuer, die große Zehntscheuer, die im Jahre 1945 abgebrannt ist sowie
weitere Häuser im Zehnthof, insgesamt also 3 Gebäude. 2. Pfullinger Hof, 69 Morgen groß, dazu gehörten 2 Häuser im Zehnthof.
Pfullinger Hof, der Widumhof, 72 Morgen groß, dazu gehörten die Häuser Lodenbergstraße 3 a (Decker) sowie Nr. 5 und 9.
Pfullinger Hof, 59 Morgen groß, dazu gehörten die Häuser Heerstraße 1 (Bäcker Keim) und Heerstraße 5 (Oswald).
Pfullinger Hof, 33 Morgen groß, dazu gehörten Haus und Scheuer in der Hauptstraße 28 (Erich Kern).
Reutlinger Pfrundenhof, 57 Morgen groß; dazu gehörten die Häuser Heerstraße 8 (Metzger Schmidt) und Hauptstraße 27 (Decker). Bei dem letzteren Haus steht noch der Vermerk: Ist dem Kloster Pfullingen jährlich auf Martini 7 Kreuzer zinsbar, sonsten eigen und niemalen in diesem Hof etwas belegt worden.« (Wie dieser Hof dann als Gebäude des Reutlinger Pfrundenhofes aufgeführt werden konnte, ist nicht ganz erklärlich.)
Reutlinger Annenpfleghof, 6o Morgen groß, dazu gehörtes große Zehntscheuer Hauptstraße 43 (Maler Kurz) sowie Haus Nr. 10 in der Ledergasse (Stückle).
Reutlinger Armenpfleghof, 46 Morgen groß, das Haus Kirchstraße 2 (Strobel) gehörte dazu.
Reutlinger Annenpfleghof, 61 Morgen groß, dazu gehörte wahrscheinlich das Gebäude Reutlinger Straße i (Oswald).
Der Armenpfleg Reutlingen Landacht-Früchte, dazu gehörten 5 Morgen Acker in Zeige Berg. Nürtinger Roggenlehen, 32 Morgen groß. Nürtinger Ewige Zins, 20 Morgen groß.
Pfullinger Lehen, 36 Morgen groß, dazu gehörten die Gebäude Hauptstraße 22 (Tankstelle Knecht) und Hauptstraße 24 (Gasthaus Stern).
Pfullinger Lehen, 28 Morgen groß mit dem Haus Hofstattstraße (Lutz).
Pfullinger Leben, 20 Morgen groß, dazu gehörte das Haus Hauptstraße 12 (Rebmann, inzwischen abgegangen).
Pfullinger Lehen, 19 Morgen groß, mit einem Haus Hauptstraße 30 (Jakob Knecht). Kloster Pfullingens Zinsfehen, 5 Morgen groß, das dazugehörige Haus stand in der Ledergasse, heute Haus Nr. 9 (Georg Röhm).
Stiftsvenvaltung der Universität Tübingen,
1. und 2. Lehen, insgesamt 43 Morgen groß, dazu gehörten 2 Häuser und s Scheuer mit 2 Tennen, worunter 1 gewölbter Keller, Hofraum und Waschhaus. Der Standort dieser Häuser kann nicht mehr genau festgestellt werden. Nach der Darstellung der Lehensbeschreibung müssten es die Häuser 39, 39 a und 41 (Hirsch) in der Hauptstraße sein. Das Gefällablösungsverzeichnis von 1834 führt aber die Häuser Nr. i und 7 (Keim und Kautt) in der Heergasse samt zwei Scheuern als Tübinger Lehenssitz auf. Das kann aber nicht gut möglich sein, weil sonst das Haus Heerstraße 1 dem Kloster Pfullingen und der Tübinger Universität zusammengehört hätte. Im Lehensverzeichnis sind die Inhaber des 4. Pfullinger Hofes und des Tübinger Lehenshofes nicht identisch.
Außer den hier angeführten Lehen zinste ein großer Teil der Bauern noch dem Flecken — dem Oberamt Urach also — und dem Heiligen, d. h. der Mittelstädter Kirche Maria und Martin. Die Aufstellung der Lehen zeigt, dass es Lehenshöfe ohne Häuser gab, während zu andern zwei oder mehr Gebäude zählten. Zu jeder Lehenseinheit gehörte ein Träger, er hatte die Aufgabe, die Gülten von den Inhabern der Lehensgüter einzusammeln und den Lehensherren abzuführen. Ein so aufgeteiltes bzw. zerstückeltes Lehen nannte man Trägerlehen. Der große Streubesitz der Gültherren machte in Mittelstadt unbedingt die Person eines sogenannten Trägers erforderlich.
Die Gülten oder Zinsen, die von jedem Lehen jährlich entrichtet werden mussten, waren im Erblehensbrief genau aufgeführt. So hatte im Jahre 176o der Träger des größten Mittelstädter Lehenshofes, des Widumhofes im Lodenberg, jährlich an die Kameralverwaltung des Klosters Pfullingen folgende Gült zu entrichten:
Wiesenzins für 20 Morgen: 43 Kreuzer
1 Fasnachtshenne oder 8 Kreuzer 8 Herbsthühner oder 32 Kreuzer a Gans oder 20 Kreuzer
Aus den Äckern von allen Winter- und Sommerfrüchten das Drittel. Ferner heißt es: In diesem Hof leiden nach bisheriger Observanz (Herkommen) die Häuser, wie beigesetzt, die Gans und die alte Henne.
Für den um 12 Morgen kleineren Hof der Armenpflege Reutlingen musste jährlich eine wesentlich höhere Gült entrichtet werden: Wiesenzins: 2 Gulden, 48 Kreuzer; 2 Fasnachtshennen oder 16 Kreuzer; 16 Herbsthühner oder 1 Gulden, 4 Kreuzer; wo Eier oder 36 Kreuzer; 15 Käse oder 13 Kreuzer;
Aus den Äckern und Ländern das Drittel. Der Zins für das Haus war mit einer alten Henne entgolten.
Bei einem damaligen Getreideertrag von ca. 13o dz aus den Äckern in 2 Zeigen (die 3. war Brache) betrug die jährliche Gült nach heutigem Geldwert also rund 2000 Mark zuzüglich der obenstehenden Naturalabgaben. Waren die Höfe um das Drittel der Ackerfrüchte, um die Landgabe also, verliehen, so richtete der Verdienst des Lehensinhabers sich in der Regel ganz nach seinem Fleige.
Anders war es beim 36 Morgen großen Pfullinger Lehen. Es entrichtete jährlich folgende feste Gült, die wohl dem zehnten Teil der Frucht, also dem sogenannten Zehnten entsprach:
Wiesenzins: / Gulden, 4 Kreuzer Dinkel: 6 Scheffel, 8 Sienri, 4 Viertel = 1210 1 = ca. 1000 kg Hafer: 3 Scheffel, 3 Sinzri, 4 Viertel = 618 1 = ca. 5oo kg. 1 Fasnachtshenne 4 Herbsthühner 8o Eier. Für die Häuser 2 alte Henne.
Nach dem heutigen Geld wäre das eine jährliche Pacht von rund 600 Mark zuzüglich Naturalabgaben. Schon eine überschlägige Rechnung zeigt, daß diese Gülten günstiger waren als die der Landgarben-Lehen. Missernten konnten diesen Lehensinhabern allerdings großen Kummer bereiten, da sie auch dann eben die feste Gült zu entrichten hatten.
Ebenfalls gegen feste Gült waren die Güter der Universität Tübingen verliehen.
Aufgeführt sind in der Lehensbeschreibung außer dem sogenannten Großzehnten für das Getreide auch zum Teil die Kleinzehnten. Sie lagen in unserem Ort auf Wiesen (Heu) Wicken, Hanf, Flachs, Kraut, Erbsen, Kartoffeln und Klee; diese Belastung war für die Bauern erträglich.
Alljährlich wurde der Zehnte neu verliehen. Wie es dabei oft zuging, erfahren wir aus einem Ruggerichtsprotokoll von 1756. Dort lesen wir: »Ist zwar auch bei den: Vostruggericht die Anzeige geschehen, als ob schon vor drei Jahren bei Verleihung der gemeinen Fleckenäcker von denen Vorstehern 12 Gulden wären verzehrt und solche hernach zu der großen Zehntzeche geschlagen worden, gleichwie aber bei Untersuchung der Sache so vieles sich geäußert, daß dieses nicht anders als ein liederliches und heilloses Geschwätz sei, als lasset man es auch auf sich beruhen. Da man aber je danach oberamtlich mißliebig erfahren musste, dass ein großer Übelstand in allhiesigem Ort bis anhero darinnengewesen und vorgewaltet daß viele von der Bügerschaft sich unterstanden, zwei, drei, vier, ja sechs und mehr Tage vor Verleihung der Zehnten zusammen in denen Wirtshäusern herumzulaufen und teils Anhang oder Komplotts zu suchen, teils dabei auch wirklich auf die Verleihung des herrschaftlichen großen und andern Zehnten dergestalt hineinzutrinken, dass hernach die größten Schmähereien, Händel und Uneinigkeit entstanden. Solchem höchst sträflichen Unwesen aber gar nicht mehr länger zugesehen werden kann. Da man auch noch weiter hierbei beim Oberamt in Erfahrung gebracht, dass auch schon bösen Argwohn erregt, wann bei der ein- oder anderen solcher Zehnt-Verleihungen der Schultheiß und die Richter ihre von Rechts wegen zu hoffen und fordern habende Taglöhn miteinander gemeinschaftlich öffentlich verzehrt haben, als solle auch dieses hiermit denselben bei Straf verboten sein, um allen bösen Schein und Verdacht ganz zu meiden.«
Jährlicher Zinstag war Martini, der 11. November. Sofern die Bauern ihre Gülten nicht schon vorher entrichtet hatten, herrschte an diesem Tage im Dorfe Hochbetrieb. Außerdem wechselte an diesem Tag für gewöhnlich das Dienstpersonal.
Nach den Freiheitskriegen bahnte sich unter den Bauern eine Entwicklung an, die unter dem Motto: »Weg mit dem Zehnten, weg mit den Gülten!« stand. Die Bauern versuchten, die lästigen Abgaben abzulösen, d. h. sie durch Bezahlung einer bestimmten Summe Geldes an die Lehensherren loszuwerden, um dadurch die Güter in Eigen-besitz zu bekommen. 1834 war in Mittelstadt die Ablösung des Großzehnten in vollem Gange. Davon zeugt ein Gefällablösungsverzeichnis.
Sämtlicher Lehensbesitz der oben beschriebenen Lehen in unserem Flecken wurde mit einer Ablösungssumme von 14 826 Gulden veranschlagt Scheffel Dinkel, also rund 150 kg, kostete 1833 4 Gulden). Nehmen wir den Getreidepreis zur Grundlage, dann betrug die Ablösungssumme nach heutigem Geld rund 225 000 Mark. Dieses Geld konnten die Bauern zumeist nicht auf einmal bezahlen. In der Regel waren dafür deshalb 25 Jahresraten vorgesehen.
Erst im Gefolge des königlich-württembergischen Ablösungsgesetz von 1849, gleichsam zum letzten Termin also, konnte auch die hiesige Gemeinde - der »Flecken« - die Zehnten zur Ablösung anmelden und zwar den dem königlichen Kameralamt Urach zustehenden großen Zehnten und den der hiesigen Pfarrei gehörenden kleinen Zehnten.
Die Ablösungsverhandlungen fanden vom 29. Januar bis 17. Februar 1852 statt. Das Ablösungskapital wurde auf 22324 Gulden festgesetzt, das in 22 Jahresraten bezahlt werden musste, erstmal am i. Januar 1853, letztmals am i. Januar 1873. Man richtete eine Zehnt-Ablösungskasse ein, für die als Rechner der hiesige Bäcker Johann Martin Knecht am 20. Dezember 1852 vom Gemeinderat gewählt wurde. Knecht konnte sein Amt nur mit Genehmigung des Gemeinderats im Falle des Eintritts besonderer Umstände niederlegen. (Wenn heute noch die Nachkommen dieses Johann Martin Knechts Zehntrechner genannt werden, so wissen wir jetzt, woher diese Bezeichnung stammt.)
Nach Ablösung sämtlicher Gefälle war aller bisheriger Lehensbesitz in das freie Eigentum der Bauern übergegangen. Eine fast tausend Jahre alte Lehensordnung hatte glücklicherweise ihr Ende gefunden.
Aufgrund dieser Ausführungen könnte man meinen, dass es 1760 gar keine freien Bauern in Mittelstadt gegeben hätte. So war es jedoch auch nicht. In den Güterbüchern taucht hinter der Lagebeschreibung von Gebäuden und Äckern immer wieder das Wort eigen auf, doch nur für einzelne Parzellen, nie für den ganzen Besitz. Seit wann Eigenbesitz da war, lässt sich schwer sagen, vermutlich aber von den Anfängen unserer Siedlung an. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die Bauern einzelne Äcker und Häuser im Laufe der Jahrhunderte abgelöst haben. Als Lehensmänner verdienten sie immerhin so viel, dass diese Möglichkeit durchaus bestand.
Die Güterbücher von 1760 lassen erkennen, dass fast jeder Mittelstädter Bauer eigene Äcker bis zu 1 1/2 Morgen Größe besaß. Der gesamte Eigenbesitz der Bauern auf unserer Gemarkung belief sich damals auf rund 8o ha. Demgegenüber stehen 250ha Besitz der oben beschriebenen Leben. Der Rest der Gemarkung, nämlich 320ha, wäre dann Besitz des Fleckens, bzw. der Pfarrkirche, des Heiligen, gewesen.