Die Brühlbärbel
An der heutigen Gemarkungsgrenze zwischen Bempflingen und Mittelstadt, in der Gegend des Brühls, stand vor vielen Hundert Jahren eine Siedlung. Vor ihr blieb nichts erhalten als ein paar Scherben auf den Äckern – und ein Geist. Brühlbärbel heißt sie, die dort schon seit undenklichen Zeiten des Nachts durch die Felder irrt. Sie ist ein guter Geist und tut den Menschen nichts zuleide. Es kann nur sein, dass sie die Unwissenden dann und wann erschreckt, denn gerne, allzu gerne, nimmt sie den nächtlichen Wanderer bei der Hand, um mit ihm schweigend ein Stück Weges zu gehen. Wie gesagt, Uneingeweihte erschrecken dabei leicht, aber sie ist ja so harmlos.
Neuerdings lässt sie sich auch viel weniger sehen wie früher. Offensichtlich mag sie die Autoscheinwerfer nicht. Aber lange ist es noch nicht her, als ein Mittelstädter, der, von Bempflingen kommend, zu Fuß heimging, dann plötzlich vor sich auf der Straße die Brühlbärbel zu erblicken meinte. Unser ängstlicher Mittelstädter zog es vor, angesichts des schwebenden und tanzenden Geistes umzukehren, schnurstracks nach Bempflingen zurückzulaufen und seinen Heimweg über Riederich zu nehmen. Zum Glück wusste er nicht, dass es an der Gemarkungsgrenze zwischen Riederich und Mittelstadt ja auch seit eh und jeh schon einen nächtlichen Geist gibt, der früher in den Ruinen des römischen Gutshofs im Lachenhau hauste, jetzt aber nach der Ausgrabung und Zerstörung der Gebäudereste unstet in der Gegend umherirren muss, wie die heimatlosen keltischen Muttergottheiten auf dem Fröhlefeld.
Einen mutigeren Neckartenzlinger, der in einer mondhellen Nacht mit einem tüchtigen Rausch von Bempflingen aus über den Bempflinger Weg heimwankte, ließ die Brühlbärbel nicht ganz so ungeschoren wie unseren vorigen ängstlichen Mittelstädter. Vielleicht deshalb, weil die Brühlbärbel möglicherweise Betrunkene nicht so gern mag. Dieser Neckartenzlinger schwankte also über den Bempflinger Weg heimwärts in Richtung Mittelstadt. Am Brühl hatte er das deutliche Gefühl, dass Brühlbärbel immer um ihn herumtanzte, mal vor ihm, mal hinter ihm, je nachdem, wie er sich drehte und wendete (böse Zungen, die von Geistern nichts wissen wollten, behaupteten, es sei sein eigener Schatten auf der mondbeschienenen Straße gewesen).
Die Angst packte ihn jedenfalls schon ordentlich, so dass er zu laufen und schließlich zu rennen anfing, so gut es bei seinem Zustand möglich war. Aber Brühlbärbel blieb hartnäckig vor, neben oder hinter ihm, sie wich auch nicht durch sein gütliches Zureden und Schimpfen; sie blieb und schwieg. Da gab unser Bäuerlein schließlich auf, weil ihn seine Kräfte verließen, warf sich auf den Boden und rief ergebungsvoll aus: Do, Goischt, hoscht me!
Es geschah ihm trotzdem nicht viel, denn wie schon gesagt, Brühlbärbel ist ein harmloser Geist.
Quelle: Mittelstadt in Vergangenheit und Gegenwart mit Beiträgen von Fritz Flach, Dr. Artur Röhm, Gudrun Schrägle und Konrad Steinmaier