Radfahren verboten
Ein anderes Mittelstädter Original aus den ersten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts war der Steinbruchbesitzer Gustav Stückle. Begabt mit Witz und großer Schlagfertigkeit, vermochte er in den schwierigsten Situationen zu bestehen. Schultheiß und Gemeinderäte konnte er »besonders gut leiden«.
Sein beißender Spott traf seine Feinde stets haarscharf und oft gelang es ihm, nur durch eine Geste die für ihn verachtungswürdige Bürokratie der Lächerlichkeit preiszugeben. So eines Tages, als die Gemeindeverwaltung im Gieß ein Schild anbringen ließ, das die Aufschrift trug »Radfahren verboten«. Es gab nun aber im ganzen Dorf überhaupt nur erst zwei Fahrräder, eins besaß der Kaufmann Widmann, das andere eben Gustav Stückle, der nun geradenwegs auf das Schild zuradelte. Er stieg ab, um zu sehen, was die Gemeindeverwaltung auf dem Schild kundzutun hatte, las, stutzte, staunte, lächelte dann verschmitzt in sich hinein, nahm sein Fahrrad auf die Schulter — und trug es ins Dorf hinein. Die Lacher waren wieder einmal mehr auf seiner Seite.
Eines Tages hatte Gustav Stückle einen Gemeinderat einen Lumpen geheißen. Dieser fühlte sich zutiefst gekränkt und verklagte ihn. Vor dem Gericht in Urach versuchte man, unserem Gustav Stückle klarzumachen, daß es nicht angehe, einen Gemeinderat derart zu beleidigen. »Ja«, fragte Stückle schlau, »darf man denn wenigstens zu einem Lumpen auch Herr sagen?« Doch, das dürfe man freilich, bekannten die Richter lachend. »Also, dann—ade, ihr Herren«, sagte Gustav Stückle, nahm seinen Hut und ging.
Quelle: Mittelstadt in Vergangenheit und Gegenwart mit Beiträgen von Fritz Flach, Dr. Artur Röhm, Gudrun Schrägle und Konrad Steinmaier